Verkehrszivilrecht
1. Betriebsgefahr
2. Fehlende Deliktsfähigkeit eines Kindes vor dessen 10. Geburtstag
1. Betriebsgefahr
Jeder, der sich an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzt, sollte einen Blick auf seine Beine werfen, denn mit dem einem steht er schon in der Haftungs- falle.
Drastisch ausgedrückt: Wer ein Auto fährt, ist eine Gefahr für die Umwelt! Kommt es zum Unfall, ist er dran.
Dieses Gefährdungspotenzial spiegelt sich in der sogenannten Betriebs- gefahr eines Fahrzeugs wider. Maßgeblich für die Einschätzung der Be- triebsgefahr sind sämtliche gefahrtragenden Umstände, die von der Eigen- art des jeweiligen Fahrzeugs begründet werden. Die ist in der Regel bei einem Fahrrad weitaus geringer als bei einem Lastwagen.
Kommt es also zu einem Unfall, bei dem man sich eigentlich sicher ist, alles regelkonform gemacht zu haben, kann trotzdem der „Haftungshammer“ aus- schlagen und eine Mithaftung feststellen. Erst wenn dem Unfallgegner ein überragendes Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, kann die Betriebs- gefahr völlig zurückgedrängt werden.
2. Fehlende Deliktsfähigkeit eines Kindes vor dessen 10. Geburtstag
Aber auch das ist nicht immer der Fall. Beispiel: Man steht mit seinem Auto (fröhlich pfeifend oder auch nicht) ordnungsgemäß an der Haltelinie einer Straßeneinmündung, dem Wechsel der Ampel von Rot auf Grün harrend. Von rechts kommt ein neunjähriges Kind fährt mit seinem Fahrrad und überhöhter Geschwindigkeit ohne nötige Aufmerksamkeit angerast und rammt den Kotflügel.
„Ruhig Blut! Die Eltern werden schon zahlen!“ Denkste!
Das Kind ist nach § 828 Abs. 2 BGB für den Schaden, den es bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebe- bahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Ausnahme: Vorsätzliche Herbeiführung der Verletzung.
„Was soll ’n das?“ werden Sie jetzt fragen.
Der Gesetzgeber will durch die Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit den altersbedingten Defiziten eines Kindes im motorisierten Straßenverkehr begegnen (besondere Überforderungssituation).
Hier wird auf die typische Gefahr des Straßenverkehrs abgestellt. Dabei kann auch eine typische Gefahr des Straßenverkehrs von einem Kraftfahrzeug ausgehen, das im Straßenverkehr verkehrsbedingt hält. Die Fahrt wird nicht durch das vorübergehende – verkehrsbedingte – Anhalten beendet. Es bleibt eine Verkehrssituation (Straßenmündung), die durch ihre Komplexität, Schnelligkeit und Unübersichtlichkeit die typischen Merkmale einer Überforderungssituation für das Kind darstellen.
Damit kommt § 828 Abs. 2 BGB zur Anwendung, ohne dass es darauf ankommt, ob sich die Überforderungssituation konkret auf den Unfall ausgewirkt hat (so auch Bundesgerichtshof - BGH, Urteil vom 17.04.2007, Az. VI ZR 109/06). Ohne Deliktsfähigkeit des unter 10 jährigen ist das Kind (und i.d.R. auch dessen Eltern) nicht haftbar zu machen. Der Halter des geschädigten Fahrzeugs bleibt auf seinem Schaden sitzen.
Ihre Reaktion dürfte ungefähr wie folgt lauten: „Waaas? Gilt das etwa auch dann, wenn so ein Gör in mein ordnungsgemäß am Straßenrand geparktes Fahrzeug, reinbrettert?“
Die Antwort lautet: „Nein!“
Mit der Einführung dieser Ausnahmeregelung hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass Kinder regelmäßig frühestens ab Voll- endung des 10. Lebensjahres im Stande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten. Die Heraufsetzung des deliktsfähigen Alters ist deshalb auf Schadensereignisse im motorisierten Straßen- oder Bahnver- kehr begrenzt. Hierbei kommen nämlich die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschät- zen zu können, regelmäßig zum Tragen, weil sich Kinder im motorisierten Verkehr unter anderem durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in einer besonderen Überforderungssitua- tion befinden.
Eine solche Überforderungssituation als Voraussetzung für das gesetzliche Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 BGB ist in dem zuletzt genannten Fall nicht gegeben. Die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs wirken sich in dem Fall nicht aus (BGH, Urteile vom 30.11.2004, VI ZR 335/03 und VI ZR 365/03).